Als Peter Tosh das Lied „Sinner Man“ coverte, hatte dieses bereits eine umfassende Entwicklung durchlaufen. Seit seinen Anfängen als afroamerikanisches Spiritual-Lied durchlebte es diverse geistige Renaissancen, das Wiedererwachen der US-amerikanischen Folkmusic und mehrere Big-Band-Aufnahmen, bis es in seiner aktuellen Fassung von Nina Simone auf dem Album Pastel Blues verewigt wurde. Als Peter den Song 1977 für das Album Equal Rights aufnahm, wurde der Titel zu „Downpressor Man“ geändert, um die moralische Aussage – die dem 2. Buch Mose, „Exodus“, entstammt – auf die soziale Ungerechtigkeit in Jamaika zu richten, die dort seit der Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahre 1962 vorherrschte. Die Botschaft blieb im Kern gleich, doch der neue Rahmen, den Peter ihr durch mehrere deutliche Änderungen anhand von Rastafari-Begriffen verlieh, ermöglichte es ihm, die sozialen Missstände in seiner Heimat mithilfe der Bedeutung und Geschichte der Spiritual-Musik gezielt anzusprechen.
Keine lebende Person kennt noch den Urheber von „Sinner Man“ bzw. der meisten Spirituals, da diese der Tradition nach mündlich von den Menschen überliefert wurden. Die Auswirkungen dieser mangelnden Kenntnis sind schwerwiegender, als man zunächst annehmen würde, da die Urheberschaft – und somit oft auch das Urheberrecht – dieser Lieder den (meist weißen) Forschern zukam, die sie niederschrieben und aufnahmen oder veröffentlichten. Als Autoren werden häufig entweder Will Holt oder Lex Baxter genannt, die aber lediglich die ersten Musiker waren, die das Lied aufnahmen. Andere nennen das Folkensemble „The Weavers“ als Urheber des Lieds, obwohl sie es erst später aufnahmen und auch selbst einem anonymen Autor zuschrieben. Nina Simone ließ sich bei der Aufführung des Lieds im Jahre 1965 (als „Sinnerman“) von der Spiritual-Musik inspirieren, mit der sie aufwuchs, und fasste diese Energie in 10 Minuten musikalischer Abrechnung zusammen. Das Gute an der unbekannten Urheberschaft ist wiederum, dass alle Künstler sich das Lied zu eigen machen können: Jede Neuinterpretation des Lieds bietet neue Aussagen und Schwerpunkte und nutzt die Vergangenheit, um mit der und über die Gegenwart zu sprechen.
Nina Simones Version von „Sinner Man“ wurde in den letzten Jahren von Künstlern wie Talib Kweli oder Timbaland gesampelt. Jedes Mal drückt die Geschichte des Lieds mit aus, welchen Bezug es zur aktuellen Gegenwart hat.
Peters Interpretation des Lieds hat eine Menge Gemeinsamkeiten mit Ninas Version, aber die entscheidenden Unterschiede liegen darin, wie Peter das Lied angepasst hat, um das auszudrücken, was er sagen wollte. Tatsächlich gibt es zwei Versionen: eine, die 1971 mit den Wailers aufgenommen wurde, und eine andere, die für Equal Rights aufgenommen wurde. Beide enthalten subtile, aber bedeutende Änderungen am Text, die Peters Versionen als sein Werk charakterisieren.
Die wichtigste Änderung am Text für „Downpressor Man“ war der Wechsel der Perspektive von der ersten zur dritten Person. In früheren Aufnahmen behielt das Lied seinen eher selbstbeobachtenden Blick auf Sünde bei. Es sinnierte über die persönlichen Sünden jeder einzelnen Person und verband sie durch Phrasen wie „I ran to the rock“ und „I ran to the sea“ mit ihren Folgen. Der Zusammenhang zur Unterdrückung als Sünde wird impliziert – die Eindringlichkeit von Ninas Auftritt vermittelt dies. In Peters Version ist die Aussage durch Textänderungen wie „YOU can run to the rock“ und „YOU can run to the sea“ direkter. Der Begriff „downpressor“ (dt. etwa Niederdrücker) ist ein Rastafari-Ausdruck, der das Wort „oppressor“ (dt. Unterdrücker) umdichtete. Indem die Perspektive des Erzählers geändert wurde, wandelte es sich von einem Lied mit persönlichem Inhalt zu einem mit gemeinschaftlichen Inhalt – anstelle der persönlichen Sünde stehen nun die gesellschaftlichen Sünden, die über das eigene Selbst hinausgehen.
Oftmals werden wir dazu angehalten, Songs so zu nehmen, wie sie sind, und als Ausdruck eines einzelnen Liedtexters an den Zuhörer aufzufassen. Im Falle von „Downpressor Man“ verwendete Peter Tosh einen wohlbekannten Song, der durch Musiker, die bereits für soziale Gerechtigkeit kämpften, berühmt wurde, und nahm damit Stellung zur politischen, sozialen und wirtschaftlichen Ungerechtigkeit, die er in Jamaika zu Gesicht bekam. Die komplexe Geschichte hinter „Sinner Man“ und „Downpressor Man“ untergrub zu keinem Zeitpunkt die Kernaussage des Lieds – wenn überhaupt wurde sie dadurch nur noch wirksamer. Peters Interpretation zeigt, wie ein Coversong die Aussage eines Lieds neu aufgreifen und eine Wirkung auf die Menschen haben kann, die sich von der Inspirationsquelle unterscheidet. Und in dieser Hinsicht ist sie nicht die einzige. Wenn ein Song eine mitreißende Botschaft hat, sollte man sich die Zeit nehmen und verstehen, woher diese rührt – insbesondere, wenn es ein Coversong ist.
Margaret Jones ist Multiinstrumentalistin, Songwriterin und Musiklehrerin aus Oakland, Kalifornien. Sie spielt Gitarre in mehreren Bands in ihrer Heimat, unter anderem in ihrem eigenen Songwriter-Projekt M Jones and the Melee. Sie hat an der UC Berkeley in Musikgeschichte promoviert und am San Francisco Conservatory of Music unterrichtet.
Album-Cover von Peter Toshs „Equal Rights“ mit freundlicher Genehmigung von Sony Music Entertainment.
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